Mit seinem Urteil vom 29. April 2025 hat das Bundesgericht ein wichtiges Urteil zur sog. Besitzstandsgarantie bezüglich Hilfsmittel der Invalidenversicherung (IV) gefällt. Nach der Besitzstandsgarantie hat die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) diejenigen Hilfsmittel weiter zu erbringen, welche bereits die IV zugesprochen hatte. Dies führt dazu, dass die versicherte Person im AHV-Rentenalter mit den gleichen Hilfsmitteln, welche sie bereits vorgängig von der IV erhalten hat, ausgestattet bleibt. Weil der Hilfsmittelkatalog der IV im Vergleich zu demjenigen der AHV viel weitreichender und umfassender ist (so sieht der Hilfsmittelkatalog der AHV bspw. keine Beiträge an bauliche Anpassungen oder Fahrzeugumbauten vor), kommt der Besitzstandsgarantie in der Praxis eine wichtige Funktion zu.
Der Fall beginnt 1993
Dem Urteil vom 29. April 2025 lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: die IV sprach einer querschnittgelähmten Person im Jahr 1993 die leihweise Abgabe eines Treppenliftes als Hilfsmittel für zuhause zu. Der Treppenlift sollte es der betroffenen Person in erster Linie ermöglichen, ihr Domizil verlassen zu können, um den Arbeitsweg selbstständig zu überwinden. Im Jahr 2003 kam es zu einer Ehetrennung, wobei die betroffene Person im bisherigen Domizil verblieb und sich fortan auch weiterhin um die damals schulpflichtigen Kinder kümmerte. Im Jahr 2017 erreichte die betroffene Person das ordentliche AHV-Rentenalter und wurde pensioniert. Im Jahr 2023, also lange nachdem die betroffene Person das AHV-Rentenalter erreicht hatte, Riss das Zugseil des Treppenlifts. Die betroffene Person ersuchte die AHV, ihr gestützt auf die Besitzstandsgarantie das gerissene Zugseil zu ersetzen. Die AHV lehnte dies ab. Sie stellte sich auf den Standpunkt, dass der betroffenen Person der Treppenlift für die Überwindung des Arbeitsweges, mithin für die Erwerbstätigkeit abgegeben worden sei. Weil die betroffene Person seit 2017 pensioniert sei und keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehe, besteht auch nach der Besitzstandsgarantie kein Anspruch auf Vergütung der Kosten für das gerissene Zugseil.
Argumentation der Beschwerde
Gegen diesen Entscheid der AHV liess die betroffene Person mit Unterstützung des des Instituts für Rechtsberatung (ein Bereich der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung) zunächst Beschwerde an das zuständige Kantonsgericht führen. Weil das Kantonsgericht jedoch der AHV Recht gab, blieb der betroffenen Person nur noch der Gang an das Bundesgericht. Sowohl vor Kantons- als auch Bundesgericht liess die betroffene Person argumentieren, dass ihr der Treppenlift von der IV zwar primär im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit abgegeben worden sei. Weil es jedoch im Jahr 2003 zur Ehetrennung gekommen sei, habe die betroffene Person den Haushalt fortan alleine geführt und sich dabei auch regelmässig um die (zum Trennungszeitpunkt noch schulpflichtigen) Kinder gekümmert. Sie habe damit einen Aufgabenbereich erschlossen und sich in diesem in beachtlichem Umfange betätigt. Spätestens mit der Ehetrennung sei ihr der Treppenlift deshalb nicht nur im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit, sondern auch im Zusammenhang mit dem erschlossenen Aufgabenbereich (sprich Haushalt) abgegeben worden. Folge dessen bestehe gestützt auf die Besitzstandsgarantie auch im Pensionsalter ein Anspruch auf Vergütung der Kosten für den Zugseilersatz, zumal der Haushalt bzw. Aufgabenbereich ja weiterhin bestehe.
Urteil - zugunsten des Betroffenen
Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil vom 29. April 2025 fest, dass die nachträgliche Aneignung eines (umfangmässig beachtlichen) Aufgabenbereichs vor Eintritt des AHV-Rentenalters mit Blick auf die Besitzstandsgarantie anspruchsbegründend sein könne. Mit anderen Worten: wenn sich eine Person vor Erreichen des AHV-Alters in beachtlichem Umfang auch im Aufgabenbereich betätigt hat, sind ihr gestützt auf die Besitzstandsgarantie auch im AHV-Alter all jene von der IV finanzierten Hilfsmittel abzugeben, welche für die Betätigung im Aufgabenbereich notwendig sind. Mit Urteil vom 29. April 2025 hiess das Bundesgericht die Beschwerde der betroffenen Person gut und wies die AHV an, abzuklären, ob sich die betroffene Person nach der Ehetrennung im Jahr 2003 umfangmässig in beachtlichem Umfang auch im Aufgabenbereich engagiert hatte. Trifft dies zu, wovon auszugehen ist, muss die AHV in Anwendung der Besitzstandsgarantie für die Kosten des gerissenen Zugseils aufkommen.
Mit seinem Urteil vom 29. April 2025 hat das Bundesgericht die Tragweite der Besitzstandsgarantie gestärkt. Da die meisten querschnittgelähmten Personen auch im AHV-Alter auf Hilfsmittel angewiesen bleiben, welche ihnen von der IV finanziert und abgegeben worden sind, ist diese bundesgerichtliche Rechtsprechung erfreulich.