Die Unfallversicherung erbringt verschiedene Leistungen. Dabei sind zwei Arten von Leistungen zu unterscheiden:
- Erstens können Pflegeleistungen übernommen oder Kosten erstattet werden. Dies sind sogenannte Sachleistungen.
- Zweitens können Geldleistungen erbracht, d. h. Geldbeträge ausbezahlt werden.
Bei der Integritätsentschädigung (IE) handelt es sich um eine Geldleistung. Sie soll die durch einen Unfall oder eine Berufskrankheit langfristig erlittene erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität bis zu einem gewissen Grad entschädigen.
In welchen Gesetzen ist das geregelt?
Die Unfallversicherung ist hauptsächlich im Unfallversicherungsgesetz (UVG) und seiner Vollzugsverordnung (UVV) geregelt. Konkret wird die Integritätsentschädigung in Art. 24 und 25 UVG erläutert und in Art. 36 UVV präzisiert.
Eine Person hat Anspruch auf eine von der Unfallversicherung ausgerichtete Integritätsentschädigung, wenn sie eine dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität erleidet.
Die Entschädigung wird ausgerichtet, sobald sich der Gesundheitszustand stabilisiert, oft lange nach dem Unfall.
Der Betrag wird einmalig ausbezahlt und richtet sich nach der Schwere der Schädigung, die nach Tabellen oder von einer Arztperson beurteilt wird. So kann die Verfügung im Einzelfall von verschiedenen Faktoren abhängen.
Wer hat Anspruch auf diese Entschädigung?
Von den Sozialversicherungen sieht nur das UVG eine Integritätsentschädigung vor. Grundsätzlich kann also nur eine verunfallte Person eine solche Entschädigung erhalten. Bestimmte Fälle von sogenannten Berufskrankheiten sind allerdings eingeschlossen. Der Einfachheit halber wird im Folgenden jedoch nur auf Unfälle eingegangen.
Das UVG kennt zwei Versicherungsarten:
- Die obligatorische Unfallversicherung, insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine Deckung für Nichtberufsunfälle (d. h. Unfälle, die sich grundsätzlich ausserhalb der Arbeitsausübung ereignen) besteht dabei nur, wenn die versicherte Person durchschnittlich mehr als acht Stunden pro Woche – also in der Regel mit einem Pensum von mindestens 20 Prozent – erwerbstätig ist.
- Die freiwillige Unfallversicherung für Selbstständigerwerbende. Um Anspruch auf entsprechende Leistungen zu haben, ist in diesem Fall selbst ein Vertrag mit einer Versicherungsgesellschaft zu schliessen.
Unter welchen Voraussetzungen besteht Anspruch auf diese Entschädigung?
Neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Unterstellung unter die Unfallversicherung werden für die Ausrichtung einer Integritätsentschädigung zusätzliche Bedingungen gestellt. Eine der Unfallversicherung unterstellte Person hat nämlich Anspruch auf diese Entschädigung, wenn sie durch einen Unfall eine «dauernde erhebliche Schädigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Integrität» erleidet. Diese Schädigung muss unfallbedingt sein (Kausalzusammenhang).
Eine erhebliche Schädigung liegt vor, wenn die körperliche, geistige oder psychische Integrität unabhängig von der Verminderung der Erwerbsfähigkeit offensichtlich oder schwer beeinträchtigt ist, beispielsweise beim Verlust einer Gliedmasse oder eines Organs bzw. seiner Funktion. Sie ist dauernd, wenn vorhersehbar ist, dass sie lebenslang mindestens in gleicher Schwere bestehen bleibt.
Zu welchem Zeitpunkt wird diese Entschädigung ausbezahlt?
Die Integritätsentschädigung wird ausbezahlt, wenn sich der Gesundheitszustand stabilisiert hat, d. h. wenn die Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine erhebliche Besserung des Gesundheitszustandes mehr bewirkt. Bei Para- oder Tetraplegikern liegt dieser Zeitpunkt oft weit nach dem Unfall – meist ein bis zwei Jahre danach.
Wie hoch ist die IE?
Diese Entschädigung wird der begünstigten Person einmalig ausgerichtet, während zum Beispiel Taggelder oder die Rente regelmässig ausbezahlt werden. Sie beträgt derzeit maximal CHF 148 200.–. Ihre Höhe richtet sich nach der Schwere der erlittenen Schädigung. Später eintretende, aber bereits bei der Festsetzung der Entschädigung vorhersehbare Verschlimmerungen sind bei dieser Beurteilung zu berücksichtigen.
Anhang 3 der UVV enthält eine Übersicht der Beträge, die bei verschiedenen Schäden grundsätzlich auszurichten sind. Von der Suva erstellte Tabellen ergänzen beziehungsweise präzisieren diesen Anhang. Sie werden von Versicherungen und Gerichten weitgehend angewendet, insbesondere um die Gleichbehandlung der Versicherten zu gewährleisten.
Beispielsweise wird der Verlust einer Grosszehe mit 5 % des oben genannten Betrages entschädigt, was CHF 7410.– entspricht. Eine Person, die infolge eines Unfalls an vollständiger Taubheit leidet, erhält hingegen eine Integritätsentschädigung von 85 %, also CHF 125 970.–.
Für Menschen mit Querschnittlähmung sieht der Anhang eine Entschädigung von 100 % bei Tetraplegie (CHF 148 200.–) bzw. 90 % bei Paraplegie (CHF 133 380.–) vor. Diese Beträge entsprechen jedoch einer kompletten Lähmung oder den schwersten Formen inkompletter Lähmung. Die Tabelle 21 der Suva befasst sich mit Querschnittlähmungen. Je nach Lähmungsgrad (ASIA A-E) und – bei Querschnittgelähmten – Höhe der Verletzung an der Wirbelsäule sind unterschiedliche Beträge vorgesehen.
Leidet eine Person infolge eines Unfalls an verschiedenen und unterschiedlichen Schädigungen, erfolgt eine Gesamtbeurteilung ihrer Schwere durch einen Arzt. Diese Beurteilung wird dann von der Unfallversicherung übernommen, um die Höhe der auszurichtenden Integritätsentschädigung zu bestimmen. Auch wenn mehrere Schädigungen vorliegen, kann der Maximalbetrag von CHF 148 200.– nicht überschritten werden.
Kann diese Entschädigung verweigert oder gekürzt werden?
Hat die versicherte Person den Gesundheitsschaden absichtlich herbeigeführt, wird keine Integritätsentschädigung ausgerichtet. Aber auch ohne Vorsatz kann sie gekürzt oder in besonders schweren Fällen ganz verweigert werden. Dies gilt in zwei Situationen:
- wenn die versicherte Person ein Verbrechen oder Vergehen (nicht vorsätzlich) begangen hat;
- wenn es sich um einen Nichtberufsunfall handelt und sich die versicherte Person mit ihrem Verhalten einer Gefahr ausgesetzt hat (aussergewöhnliche Gefahren und Wagnisse).
Gibt es andere Versicherungen, die eine solche Entschädigung vorsehen?
Von den Sozialversicherungen sieht nur die Unfallversicherung eine Integritätsentschädigung vor. Zusätzlich kann aber auch eine gleichwertige Privatversicherung abgeschlossen werden, die dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) untersteht. Es kommt vor, dass der Arbeitgeber selbst eine solche Versicherung abschliesst. Die ausbezahlte Entschädigung wird dann oft als Invaliditätskapital bezeichnet. Auszahlung und Höhe richten sich nach der Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen und können daher von Fall zu Fall variieren.
(Von Virginie Müller, Rechtsanwältin, Paracontact 4/25)