Nach einem Unfall benötigen viele Personen zu Hause Pflegeleistungen Dritter. Dies wird nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) geregelt. Um den Umfang der zu erbringenden Pflegeleistungen zu bestimmen, lassen die Unfallversicherungen die Situation in der Regel durch eine Drittorganisation (z. B. die SAHB) abklären. Der Abklärungsbericht enthält ausführliche Angaben darüber, welche Pflegeleistungen zu erbringen sind und wie viel Zeit dafür erforderlich ist.
Sobald die Unfallversicherung diesen Bericht erhält, erlässt sie eine Verfügung über die finanzielle Beteiligung an den ambulanten Pflegekosten der versicherten Person. Um diese zu verstehen, sind verschiedene wichtige Unterscheidungen zu machen.
Medizinische Pflege und nichtmedizinische Hilfe
In der Unfallversicherung wird nach Art. 18 UVV zwischen medizinischer Pflege und nichtmedizinischer Hilfe unterschieden. Für die Einteilung in die beiden Kategorien stützen sich die Unfallversicherungen auf die von der Krankenversicherung verwendeten Kategorien:
- Die medizinische Pflege entspricht den «Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung» im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Bst. b KLV. Dazu gehören unter anderem das Einführen von Sonden oder Kathetern und die damit verbundenen pflegerischen Massnahmen, die manuelle Darmentleerung sowie das Spülen, Reinigen und Versorgen von Wunden, inkl. Dekubituspflege.
- Die Unfallversicherung entschädigt auch «Massnahmen der Abklärung, Beratung und Koordination» gemäss Art. 7 Abs. 2 Bst. a KLV.
- Die nichtmedizinische Hilfe entspricht den in Art. 7 Abs. 2 Bst. c KLV aufgezählten «Massnahmen der Grundpflege». Dabei handelt es sich unter anderem um die Körperpflege und das Duschen, Hilfe beim An- und Auskleiden, Hilfe beim Transfer vom und ins Bett und in den Rollstuhl sowie um die Dekubitusprophylaxe.
Die Haushaltshilfe für eine versicherte Person (Mahlzeitenzubereitung, Reinigung usw.) hingegen gilt nicht als Pflegeleistung (medizinische Pflege oder nichtmedizinische Hilfe) und wird von der Unfallversicherung nicht vergütet.
Die Unterscheidung zwischen medizinischer Pflege und nichtmedizinischer Hilfe ist entscheidend für die Finanzierung. Die Unfallversicherungen müssen die medizinische Pflege (Bst. b KLV) sowie die Abklärung, Beratung und Koordination (Bst. a KLV) vollständig übernehmen. Dabei dürfen sie von der versicherten Person keine finanzielle Beteiligung verlangen. Die Hilflosenentschädigung (HE) kann von den Unfallversicherungen zur Finanzierung solcher Pflegeleistungen weder ganz noch teilweise in Abzug gebracht werden.
Mit der HE kongruente und nicht kongruente Massnahmen der Grundpflege
Für die Übernahme nichtmedizinischer Hilfe (Grundpflege) ist zusätzlich folgende Unterscheidung zu machen: Die mit der HE nicht kongruente Grundpflege ist vollumfänglich von der Unfallversicherung zu übernehmen. Im Besonderen kann sie für diese Pflege von der versicherten Person keine Beteiligung aus ihrer HE verlangen. Die Suva beispielsweise bezeichnet sie als «CC-Leistungen». Dazu gehören unter anderem die Hilfe beim Transfer vom und ins Bett und in den Rollstuhl, die aktive/passive Mobilisation und die Dekubitusprophylaxe.
Sofern Grundpflegeverrichtungen mit der HE kongruent sind, kann die Unfallversicherung von der betroffenen Person verlangen, dass sich diese einen Teil ihrer HE an die Grundpflegekosten anrechnen lässt. Im Urteil vom 21. Oktober 2021 (BGE 148 V 28) hat das Bundesgericht klargestellt, welche Quote der HE an die von der Unfallversicherung abzugeltenden Grundpflegekosten angerechnet werden kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unfallversicherung, wenn die versicherte Person eine HE schweren Grades bezieht (CHF 2436.– pro Monat), von ihr eine Beteiligung von 85% der HE für derartige Grundpflegeleistungen verlangen kann, d. h. maximal CHF 2070.– pro Monat. Alle von der HE gedeckten Massnahmen der Grundpflege, die CHF 2070.60 pro Monat übersteigen, gehen zulasten der Unfallversicherung.
Sofern eine Hilflosigkeit für die alltägliche Lebensverrichtung «Fortbewegung/Pflege gesellschaftlicher Kontakte» vorliegt, beträgt die Beteiligung der versicherten Person bei einer HE mittelschweren Grades maximal CHF 1258.60 und bei einer HE leichten Grades maximal CHF 446.60. Wird für diese alltägliche Lebensverrichtung keine Hilflosigkeit anerkannt, ist die Unfallversicherung berechtigt, die gesamte HE mittelschweren oder leichten Grades als Beitrag an die Grundpflegekosten dieser Unterkategorie zu verlangen.
Die pflegende Person
Im Weiteren wird in Art. 18 UVV unterschieden, ob die Pflege zu Hause von einer «zugelassenen» oder einer «nicht zugelassenen» Person oder Organisation durchgeführt wird, d. h. ob sie die Voraussetzungen von Art. 49 KVV (Pflegefachleute) oder 51 KVV (Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause) erfüllt. Bei den «nicht zugelassenen» Personen handelt es sich in der Regel um betreuende Angehörige. Im Gegensatz zur Praxis der Krankenversicherung müssen betreuende Angehörige nicht zwingend bei einer Spitex-Organisation angestellt sein. Zudem muss der oder die betreuende Angehörige nicht zwingend der Familie der versicherten Person angehören. Auch eine Nachbarin oder ein Bekannter kann diese Aufgabe übernehmen.
Diese Unterscheidung bestimmt den Tarif, zu dem die erbrachten Leistungen vergütet werden (siehe unten). Die für die Leistungen betreuender Angehöriger angegebenen Tarife werden anhand der aktuellen Tabellen zur Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik (BFS) berechnet.
Derzeit werden von den Unfallversicherungen folgende Stundenansätze angewendet:
Zugelassene Organisation 1 | Zugelassene Person 2 | nicht zugelassene Person (Angehörige) | |
Abklärung, Beratung und Koordination | 114.96 CHF/h | 78.00 CHF/h | –3 |
Untersuchung und Behandlung | 99.96 CHF/h | 72.00 CHF/h | 30.80 CHF/h |
Grundpflege | 90.00 CHF/h | 66.00 CHF/h | 27.60 CHF/h |
1 Tarifvertrag für Spitex-Organisationen
2 Tarifvertrag für freiberuflich tätige Pflegefachleute
3 Die der Kategorie «Abklärung, Beratung und Koordination» angehörenden Pflegeleistungen müssen zwingend von einer zugelassenen Organisation oder Person erbracht werden.
Rückwirkende Überprüfung
Gestützt auf die erwähnte neue Rechtsprechung von 2021 müssen die Unfallversicherungen unter anderem die Übernahme der Grundpflegekosten anpassen. Die Suva erkundigt sich zum Beispiel mit einem Formular bei der versicherten Person, ob sie eine rückwirkende Überprüfung – längstens rückwirkend bis am 1. Januar 2017, als der neue Art. 18 UVV in Kraft getreten ist – der Pflegebeiträge wünscht. Da die Unfallversicherung berechtigt ist, mit Wirkung ab 1. Januar 2017 die HE zumindest teilweise an die mit dieser kongruenten Grundpflegeleistungen bzw. -kosten anzurechnen, kann es sein, dass bei einer rückwirkenden Abklärung der Unfallversicherung ein Anspruch gegenüber der versicherten Person zusteht. Ob im Einzelfall eine rückwirkende Abklärung zu einem solchen (ungewünschten) Ergebnis führt, lässt sich nicht leicht beurteilen. Das hängt von zahlreichen Faktoren ab. Wurden die Pflegeleistungen der betreuenden Angehörigen in der Vergangenheit nicht vergütet, spricht dies zum Beispiel eher für eine solche rückwirkende Überprüfung.
Die Finanzierung der Pflege zu Hause durch die Unfallversicherung ist komplex und mit grossen persönlichen Herausforderungen für die Betroffenen und deren Angehörigen verbunden. Die Finanzierung der ambulanten Pflege führt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Unfallversicherungen. Bei Fragen steht Ihnen das IRB gerne zur Verfügung.