Die bisher angewendeten statistischen Werte sind realitätsfern. Zudem unterstützt die Kommission auch mehr Fairness bei medizinischen Gutachten. Das ist wichtig und erfreulich. Inclusion Handicap erwartet vom Bundesrat, dass er die Umsetzungsarbeiten zur Invaliditätsbemessung rasch aufnimmt. Bei den medizinischen Gutachten liegt der Ball nun bei der Kommission des Ständerats.
In ihrer Sitzung vom 10./11. November behandelte die SGK-N die von ihr selbst eingereichte Kommissionsmotion «Invaliditätskonforme Tabellenlöhne bei der Berechnung des IV-Grads» (22.3377). Dabei geht es um die Ermittlung des Einkommens, das mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung noch erzielt werden kann. In zahlreichen Fällen wird dieses Einkommen bei der Berechnung des Invaliditätsgrads mit Hilfe von statistischen Werten (LSE-Tabellenlöhne) bestimmt. Diese sind jedoch heute realitätsfern. «Weil ihre Verdienstmöglichkeiten systematisch zu hoch eingeschätzt werden, erhalten Menschen mit Behinderungen keinen Zugang zu Umschulungen oder zu Renten. Das ist stossend», meint Matthias Kuert Killer, Leiter Politik bei Inclusion Handicap. Forschung und Lehre und auch die Behindertenverbände machen sich seit Jahren für eine Weiterentwicklung der Tabellenlöhne stark. Die Entscheide des Parlaments stützen nun die Bemühungen der Behindertenverbände.
Anpassungen dringend nötig
Die heutige Bemessungsgrundlage bildet die Verdienstmöglichkeiten von gesunden Menschen ab. Als Folge wird das Lohnniveau von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen systematisch überschätzt. Nachdem führende Sozialversicherungsrechtler*innen die Dringlichkeit der Weiterentwicklung der Tabellenlöhne betonten, hatte sich der Nationalrat der Thematik angenommen. Er verabschiedete in der Sommersession eine entsprechende Kommissionsmotion ohne Gegenstimme. Der Ständerat hat in der Herbstsession nachgezogen und die Frist zur Umsetzung der Motion bis Ende 2023 verlängert. Die SGK-N hat dieser verlängerten Umsetzungsfrist nun einstimmig zugestimmt. Folgt in der Wintersession auch der Nationalrat, so muss der Bundesrat bis Ende 2023 eine neue Bemessungsgrundlage implementieren. Diese soll realistische Einkommensmöglichkeiten von Personen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung berücksichtigen. Inclusion Handicap wird bei der Umsetzung genau hinschauen.
Mehr Fairness auch bei medizinischen Gutachten nötig
Medizinische Gutachten sind häufig umstritten, viele Betroffene fühlen sich nicht fair behandelt. Inclusion Handicap hat deshalb seit Februar 2020 eine Meldestelle für Betroffene eingerichtet (Meldestelle IV-Gutachten). Heute hat die Sozialkommission des Nationalrats einen Schritt in Richtung mehr Fairness bei den medizinischen Gutachten gemacht. Sie hat eine parlamentarische Initiative (21.498) gutgeheissen, welche verlangt, dass die IV-Stelle und die versicherte Person sich bei monodisziplinären Gutachten auf eine*n Sachverständige*n einigen. Zudem soll der Ablauf des Einigungsverfahrens den Empfehlungen einer Evaluation entsprechen, die vom EDI zu den medizinischen Begutachtungen in der IV in Auftrag gegebenen wurde. Ein faires Einigungsverfahren hat viele Vorteile: Unnötige Gerichtsstreitigkeiten über die Wahl der Sachverständigen entfallen, es stärkt die Akzeptanz des Resultats und ist darum in anderen Rechtsgebieten (z.B. Haftpflichtrecht) längst Standard. Nun ist die Sozialkommission des Ständerats am Zug.