Als Chikha Benallal den Brief der IV mit dem Entscheid bezüglich ihrer IV-Rentenrevision erhält, zögert sie. Wie mag der Entscheid ausgefallen sein? Schon seit Langem hat sie gemerkt, dass ihre Energie und Ressourcen kaum reichen, um das bisherige Arbeitspensum und ihre Aufgaben im Beruf und Privatleben zu meistern. Ihre gesundheitliche Situation hat sich verschlechtert. Der Alltag im Rollstuhl ist insgesamt anstrengender geworden.
Chikha Benallal leidet am Post-Polio-Syndrom (PPS). Das ist eine neurologische Folgeerkrankung der Kinderlähmung, die sich Jahrzehnte nach der akuten Infektion durch Muskelschwäche, Erschöpfung, Schmerzen und andere Funktionseinschränkungen äussert. Die Symptome entstehen durch Überlastung der Nervenzellen, die nach der Infektion zusätzliche Muskelarbeit leisten mussten. Das Fatigue-Syndrom ist bei PPS oft ein zusätzliches belastendes Symptom und tritt häufig nach geringster Anstrengung auf, was den Alltag stark einschränkt. Es gibt keine Heilung, die Behandlung konzentriert sich darauf, die Symptome zu lindern und die Fortschreitung zu verlangsamen.
Ein langer Weg
Chikha gehen in dieser Zeit viele belastende Gedanken durch den Kopf: «Der Weg vor und während der IV-Revision war für mich eine emotionale Herausforderung mit existenziellen Unsicherheiten. Ausserdem hatte ich starke Schmerzen und war erschöpft – einfache Dinge wie Einkaufen oder Kochen wurden immer schwieriger. Ich war ausgelaugt und konnte mich nicht mehr lange konzentrieren. Ohne die grosse Unterstützung meines Umfelds und meines wohlwollenden Arbeitgebers hätte ich nicht gewusst, wie ich den Alltag schaffen und die Auswirkungen meiner Krankheit akzeptieren soll. Deswegen entschied ich mich, eine Erhöhung der IV-Rente zu beantragen.»
Auf den Antrag an die IV folgten Gespräche, Begutachtungen, Arztberichte. Monatelang wartete Chikha auf Resultate.
Die Sorgenspirale
Aus Diskussionen mit anderen Betroffenen wusste Chikha, dass eine IV-Revision oft nicht beantragt wird, weil diese mit einer längeren Krankschreibung einhergehen kann. «Ich hatte dieselbe Einstellung, die sich in der Zwischenzeit relativiert hat. Ich war zu Beginn vier Monate zu 100 Prozent krankgeschrieben. Nach einer Weile realisierte ich, wie ich körperlich und auch mental am Rumpf war. Diese vier Monate waren notwendig, um langsam wieder zu Kräften zu kommen und die Batterien aufzuladen. Nach dieser Zeit folgte ein Weg der kleinen Schritte zurück in den Arbeitsalltag.»
Die Abklärungen der Invalidenversicherung zogen sich hin. Das Krankentaggeld endete, finanzielle Sorgen kamen hinzu. «Glücklicherweise konnte ich auf Unterstützung aus meinem Umfeld zählen und schaffte es, den finanziellen Engpass zu überwinden. Neben dem kontinuierlichen Wiedereinstieg in den Alltag war es mir wichtig, Inseln mit schönen Erlebnissen zu schaffen. Treffen mit Familie und Freunden oder auch das Musizieren halfen mir in dieser unsicheren Zeit. So gelang es mir, eine positive Einstellung zu wahren und auf mich zu achten.»
Der Mut wird belohnt
Nach zwei Jahren bangen Wartens traf schliesslich der Vorbescheid bezüglich der Revision ein. Die bestehende IV-Rente wurde erhöht. Ein Moment der Erleichterung. Es dauerte weitere vier Monate bis zur definitiven Verrechnung der rückwirkenden IV-Rente mit der Krankentaggeldversicherung und dem Arbeitgeber. «Seit dem Entscheid beziehe ich nun eine volle IV-Rente und habe einen Invaliditätsgrad von 80 Prozent. Es ist mir dadurch weiterhin möglich, als Peerberaterin mit einem 20-Prozent-Pensum tätig zu sein, den Alltag und das soziale Leben mit Rücksicht auf meine Gesundheit in Einklang zu bringen.»
Auch wenn der Prozess belastend und lange war, möchte Chikha Betroffenen Mut machen: «Die Gesundheit steht im Vordergrund und ist unser wertvollstes Gut. Tragt Sorge dazu. Gebt nicht auf. Holt euch Unterstützung, sprecht über Unsicherheiten. Auch wenn der Weg schwer ist – man ist nicht allein. Es ist sehr wichtig, sich in dieser Zeit zu motivieren und für sich Inseln zum Energietanken zu schaffen.»
Die IV-Renten-Revision
Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen sollen die ihnen zustehenden Leistungen erhalten.
Die IV-Stellen prüfen von Amtes wegen, ob die Voraussetzung für eine Rente noch vorliegt oder Anpassungen angezeigt sind. Die Revision kann auch auf Gesuch der betroffenen Person eingeleitet werden. Im Revisionsgesuch hat die versicherte Person glaubhaft zu machen, dass ein Revisionsgrund vorliegt. Dies lässt sich beispielsweise mit einem Arztbericht dokumentieren.
Wenn sich der Invaliditätsgrad um mindestens 5 Prozent ändert und länger als drei Monate dauert, kann die Rente angepasst werden. Die betroffene Person erhält von der IV einen Fragebogen. Ausserdem kann die IV bei weiteren Stellen zusätzliche Informationen einholen.
IV-Bezügerinnen und -Bezüger unterstehen gegenüber der IV einer Meldepflicht. Änderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, welche den Leistungsanspruch beeinflussen können, müssen gemeldet werden. Solche Veränderungen können ebenfalls einen Revisionsgrund darstellen und liegen beispielsweise vorbei:
- Veränderung des Gesundheitszustandes
- Wiederaufnahme, Aufgabe oder Wechsel der Erwerbstätigkeit
- Erhöhung oder Verminderung des Validen- oder Invalideneinkommens
Unterstützung suchen
Beratungsstellen wie die Sozialberatung oder das Institut für Rechtsberatung (IRB) der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung stehen Betroffenen zur Seite.
Veränderung dokumentieren
Ärztliche Berichte, Therapienachweise und Alltagsbeispiele können wichtig sein, um die gesundheitliche Veränderung zu belegen.
Nicht allein kämpfen
Wenn möglich, Begleitpersonen zu Terminen mitnehmen. Das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. Beratungsstellen involvieren.
Geduld haben
Der Prozess kann dauern; Selbstfürsorge ist in dieser Zeit besonders wichtig.
(Von Adrian Achermann, Paracontact 4/25)