«Ich hatte selten so Angst»

Sich an einem Seil in den Abgrund fallen lassen und minutenlang hin- und herpendeln. Drei SPV-Mitglieder fanden das deutlich lustiger als der Organisator selbst.

Durch die Gorges du Pissot oberhalb von Chateau d’Œx VD hallen manchmal panische Schreie. 100 Meter geht es hier vom Strassenniveau in die Tiefe. Schaut man runter auf den Grund der Schlucht, scheinen die grossen Tannen wie Bäumchen einer Modelleisenbahn. Eine metallene Plattform ragt einige Meter in die Schlucht hinein. Daran befestigt sind mehrere Drahtseile. Von hier aus stürzen sich Wagemutige in die Tiefe – aus Spass. Eine Vorrichtung führt Personen, die nicht selbstständig springen können, über den Rand der Platt­form hin­aus. Und spickt sie ins Nichts.

Claude Siegenthaler, Koordinator des Bereichs Breitensport – Freizeit – Gesundheit, entdeckt auf Social Media ein Video eines Rollstuhlfahrers, der sich diese Schlucht hinunterstürzt. Das wär doch ein Angebot für abenteuerlustige SPV-Mitglieder! Natürlich muss er vorher abklären, ob die Aktivität wirklich etwas taugt. Das bedeutet auch, er muss selbst ran. 

Mit zittrigen Händen
Noch im Rollstuhl sitzend zieht er einen Klettergurt an und wird anschliessend in diesem hochgehoben. Er baumelt über der Schlucht. Die Zeit, die der Veranstalter braucht, um all die Sicherungen zu fixieren, kommt ihm vor wie eine Ewigkeit. «Mein Herz schlug bis zum Hals.» Der Veranstalter zieht an einem Seil – und Claude Siegenthaler verschwindet im Abgrund. Zuerst fällt er rund 30 Meter in die Tiefe und pendelt anschliessend wieder hoch.

Ich hatte so viele Eindrücke in so kurzer Zeit, ich konnte das gar nicht verarbeiten. Die Kräfte, die wirken, sind immens. Man muss sich sehr gut festhalten.
Claude Siegenthaler 
Koordinator Breitensport – Freizeit – Gesundheit

Die Pendelbewegung wird immer kleiner und kommt schliesslich zum Erliegen. Der Veranstalter lässt von oben ein weiteres Seil mit einem Karabiner herunter, den die Teilnehmenden in ihrem Klettergurt einhängen müssen. Doch Claude Siegenthaler ist komplett blockiert. «Wenn du Paraplegiker bist, spürst du ja nicht, wie du im Klettergurt sitzt. Ich hatte Panik, dass ich runterfalle, wenn ich die Hände vom Seil nehme.» Es dauert eine Weile, bis er sich mit zittrigen Händen überwindet. «Ich hatte selten so Angst wie in diesem Moment.»

Er braucht zunächst ein paar Minuten Verschnaufpause auf festem Untergrund, bevor er zum Fazit kommt: «Doch, es war cool.» Er schreibt die Unternehmung für SPV-Mitglieder aus. Drei Rollstuhlfahrerinnen melden sich an und fahren am 17. August zur Schlucht. Jede der drei Frauen hat bereits Erfahrung mit Extremsportarten. «Die drei waren deutlich abgebrühter als ich», lacht Claude Siegenthaler. Am Ende des Tages strahlen Corinne Oehen, Stephanie Gitzelmann und Giulia Damiano übers ganze Gesicht. Sie sind sich einig, genial wars!