Gemeinsam sind wir stärker

InSuperAbili und Gruppo Paraplegici Ticino haben fusioniert. Nicola Canepa, Walter Lisetto und Alessandro Viri reden über die Gründe, erklären den Clubnamen «GPT» und sagen, weshalb im Prozess die Mentalitätsunterschiede der Mitglieder keine Rolle spielen.

Von Peter Birrer

Das Trio trifft sich im Stadion Cornaredo in Lugano. Nicola Canepa ist aus dem Bleniotal angereist, Walter Lisetto und Alessandro Viri haben als Luganesi ein Heimspiel. Der Grund des Treffens: ein Gespräch über die Fusion der zwei Tessiner Rollstuhlclubs InSuperAbili und Gruppo Paraplegici Ticino (GPT). 

Nicola Canepa präsidiert seit 2019 die Gruppo Paraplegici Ticino und bleibt nach dem Zusammenschluss an der Spitze. Walter Lisetto, bisher Präsident von InSuperAbili, ist sein Stellvertreter. Und Alessandro Viri kümmert sich im Vorstand um den Bereich Finanzen.

Vereint 
Walter Lisetto, Nicola Canepa und Alessandro Viri

Bei einer Fusion drängt sich die Frage auf: Welche Probleme machten diese Massnahme unumgänglich?
Walter Lisetto (WL): Die Initiative ging von uns aus. Wir strebten die Fusion aber nicht an, weil uns irgendwelche Probleme zu schaffen machten. InSuperAbili ist ein Club mit starken Strukturen, gesunden Finanzen und einer hohen Mitgliederzahl. Wir hätten also weitermachen können wie bisher. Aber wir sahen die Möglichkeit, etwas noch Grösseres und Besseres zu schaffen. Diese Überzeugung hat uns veranlasst, das Projekt anzuschieben. Und jetzt setzen wir es um.

Wann kam die Idee konkret zur Sprache?
Alessandro Viri (AV): Vor zwei Jahren begannen wir, darüber im Vorstand zu sprechen. Wenn wir gemeinsame Sportanlässe durchführten, fragten uns die Teilnehmenden oft: Soll ich das Trikot von GPT oder InSuperAbili tragen? Viele von ihnen waren Mitglieder in beiden Clubs, wussten aber nicht, wer nun der Organisator der Veranstaltung war.

Das heisst: InSuperAbili und die Gruppo Paraplegici Ticino haben sich nie als Konkurrenten betrachtet?
WL: Anfänglich gab es gewisse Spannungen, was mich persönlich störte. Ich konnte dieses Konkurrenzdenken nie nachvollziehen. Aber mit der Zeit verschwand es immer mehr.

Nicola Canepa (NC): Für mich existierte eigentlich keine Rivalität. Als die Idee einer Fusion an uns herangetragen wurde, lehnten wir das nicht ab, sondern waren uns schnell einig, dass es einfach Sinn macht. Wären wir anderer Meinung gewesen, hätten wir sofort abgelehnt und das Vorhaben nicht unseren Mitgliedern vorgestellt.

Gab es von ihnen überhaupt keine Einwände?
WL: Ich erinnere mich an die emotionale Reaktion eines Mitglieds, das berührt war und weinte. Der Mann hatte Angst, all das zu verlieren, was ihm in den vergangenen zwölf Jahren, also seit der Gründung von InSuperAbili, so wichtig geworden war.

Wie haben Sie ihn beruhigt?
WL: Wir erklärten ihm, dass er durch die Fusion gar nichts verliert, im Gegenteil. Er wird noch mehr Optionen erhalten, um seine Freizeit abwechslungsreich zu gestalten.

NC: Es gab schon in der Vergangenheit immer wieder gemeinsame Aktivitäten. Und einmal pro Jahr gaben wir ein Mitteilungsblatt mit den Angeboten der beiden Clubs heraus, für die sich alle Interessierten anmelden durften. Darum sehe ich wirklich keinen Grund, wieso wir uns nicht zusammentun sollten. 

WL: Der Grundgedanke war der: Ein starker Club hat mehr Gewicht als zwei kleinere Vereine es haben können. So schaffen wir es, eine stärkere mediale Präsenz zu erlangen. Und wir haben mehr Einfluss auf politische Angelegenheiten. Wir stehen in unserem Kanton für Menschen mit einer Behinderung ein. Wenn wir nun an 
eine Behörde gelangen, weil wir etwas zu beanstanden haben, hat das Wirkung, weil wir als grosse Einheit auftreten. Die politischen Instanzen wissen auch: Reagieren sie nicht oder lassen uns abblitzen, könnte ihr ablehnendes Verhalten in der Zeitung thematisiert werden. Und das wollen sie vermutlich nicht. Und ich gehe davon aus, dass sich die Fusion positiv auswirkt.

In welcher Hinsicht?
WL: Die Grösse eines Clubs kann auf der Sponsorensuche von Vorteil sein.

AV: Ich glaube, dass wir auch innerhalb der SPV etwas anders angeschaut werden, vielleicht sogar als Vorbild für eher kleine Rollstuhlclubs.

Wieso?
AV: Weil viele Mühe bekunden, Ehrenamtliche zu finden, die sich in einem Vorstand engagieren. Es gibt Clubs in anderen Landesteilen, die sich geografisch nahe sind und möglicherweise intensiver nachdenken, miteinander eng zu kooperieren oder sogar zu fusionieren. Es kann schon sein, dass andere uns jetzt als Beispiel nehmen.

Von welchen Mitgliederzahlen sprechen wir nun bei GPT?
NC: InSuperAbili zählte rund 350, GPT rund 250 Mitglieder. Jetzt sind wir also insgesamt 600, wovon 300 aktiv und regelmässig an Events dabei sind.

Neuer Vorstand 
v. l. n. r., hinten: Walter Lisetto, Damiano Zemp, Giorgio Fonio, Ersilia Gianella, Teodosio Margherita, Sara Bassetti; vorne: Gian Paolo Donghi (kein Vorstandsmitglied), Alessandro Viri, Nicola Canepa, Ilaria Perren. 
(Es fehlen Attilio Filadoro, Valerio Caverzasio.)

Und wieso heisst der Club in Zukunft GPT? InSuperAbili war ja die treibende Kraft bei dieser Fusion.
WL: Dieser Entscheid basiert nicht zuletzt auf einem geschichtlichen Hintergrund. GPT wurde 1979 gegründet und hat eine grössere Tradition als InSuperAbili, ein Club, der 2012 aus der GPT hervorging und vor allem im Handbike auf sich aufmerksam machte. Aber der Name InSuperAbili verschwindet nicht ganz. Die Handbiker etwa werden als Team von GPT unter dem Namen InSuperAbili unterwegs sein und in ganz Europa Wettkämpfe bestreiten.

Wird das Logo künftig das von GPT sein?
AV: Nein. Die Idee war, die Logos beider Vereine zu vereinen. Als Design-Grundlage diente uns jenes von InSuperAbili. Der Schriftzug ist dafür in den historischen Farben und in der Schriftart von GPT gehalten. 

Gilt für die Website dasselbe?
NC: Auch da laufen die Diskussionen. Wir werden eine Lösung finden, mit der alle gut leben können. Aber wichtiger als das ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das wir bewahren und noch stärker machen wollen.

Und wie sieht das Angebot in Zukunft aus? Wird es ausgebaut?
NC: Das bestehende Angebot wird fortgeführt. Aber wenn wir merken, dass die Mitglieder neue Bedürfnisse haben, werden wir das prüfen. Wir erwarten aber auch, dass sich jetzt mehr Leute an den Aktivitäten beteiligen, weil die Clubgrenzen aufgehoben worden sind. 

WL: Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel das Bundeshaus besucht. 30 Leute reisten nach Bern. Wenn wir wieder etwas Ähnliches organisieren, erhoffen wir uns 50 Teilnehmende.

AV: Wir sind ein sehr aktiver und innovativer Verein. Nur ein Beispiel: Vor vier Jahren kauften wir einen Heissluftballon, in dem zwei Personen im Rollstuhl Platz finden. Einen zweiten solchen Ballon gibt es in der Schweiz nicht. Falls das Interesse besteht, können Rollstuhlclubs aus anderen Regionen ihn für eine Veranstaltung mieten. Und den Piloten können wir auch gleich organisieren. (Schmunzelt.)

Die Fusion zwischen zwei Tessiner Rollstuhlclubs klappt – hingegen scheiterten solche Bemühungen zum Beispiel bei Fussballclubs im Kanton schon im Ansatz. Das ist bemerkenswert.
WL: Es geht weder um persönliche Befindlichkeiten, sondern einzig und allein um das Wohl der Mitglieder. Sie stehen für uns im Zentrum unseres Tuns. Wir stritten uns sicher nicht darum, wer nun Präsident sein wird und wer als Vizepräsident eingesetzt wird.

Das klingt ja fast langweilig …
NC: (Lacht.) … es ist nicht so, dass ich mich vorgedrängt habe und nun alles selber machen will …

AV: Nicola ist für uns die ideale Lösung. Ausserdem sind wir der Meinung, dass der Präsident unseres Rollstuhlclubs jemand sein soll, der direkt betroffen ist und am besten weiss, was es bedeutet, ein Leben im Rollstuhl zu führen.

NC: Man muss ehrlicherweise auch sagen, dass in einer solchen Organisation die Leute nicht gleich Schlange stehen und sich für das Präsidentenamt bewerben.

AV: Unabhängig von den personellen Fragen: Wir handeln vielleicht etwas gegen diesen Tessiner Trend, bauen aber etwas sehr Interessantes auf. GPT soll ein Club für alle sein, er soll die Leute vereinen. Gemeinsam sind wir stärker. Wir verfolgen keine finanziellen Interessen, sondern bemühen uns, die Rahmenbedingungen für unsere Mitglieder weiter zu verbessern. Wenn das mit einer Fusion gelingt, ist das Ziel erreicht.

Auch wenn oft zu hören ist, dass im Kanton Mentalitätsunterschiede 
bestehen. Die Leute im Sottoceneri ticken anders als die im Sopraceneri.
NC: Natürlich sind die Mentalitäten verschieden, ein bisschen ist die Situation 
vergleichbar mit dem Röstigraben. Aber das hatte auf die Fusion so wenig Einfluss 
wie die Wohnsitze unserer Mitglieder. Die meisten leben sowieso in grösseren Städten wie Lugano und Bellinzona oder zumindest in der Umgebung. Wer etwas abgelegener wohnt, ist bei Aktivitäten ohnehin seltener dabei.

Wo wird sich die Geschäftsstelle von GPT befinden?
NC: Wir werden zwei Büros haben: eines in Bellinzona und eines im neuen Sportkomplex, der in Lugano neben dem Stadion Cornaredo derzeit entsteht. Das Tessin hat einen grossen Rollstuhlclub, aber unseren Leuten stehen zwei Anlaufstellen zur Verfügung, wenn sie ein Anliegen haben. In Lugano sind wir mit anderen Vereinen und Verbänden präsent und finden dank der neuen Infrastruktur auch Trainingsmöglichkeiten vor. Inklusion wird hier gelebt. 

Zwölf Leute bilden nun den neuen Vorstand. Das ist eine beeindruckende Grösse.
WL: Es fällt einiges an Arbeit an. Die lässt sich nur auf mehrere Schultern verteilen.

Im Vorstand sitzt mit Giorgio Fonio neu ein Nationalrat. Ist das ein klares Indiz dafür, dass GPT versucht, politisch mehr Einfluss zu nehmen?
AV: Das ist sicher ein Thema. Die Parteizugehörigkeit von Giorgio Fonio (Die Mitte, Red.) ist für uns nicht relevant, weil wir neutral sind. Aber wir erhoffen uns auf jeden Fall, dass wir dort erfolgreiche Lobbyarbeit leisten können, wo Entscheidungen gefällt werden. Wir wollen stärkere Präsenz markieren.

NC: Um unsere Interessen einzubringen, benötigen wir solche Leute wie Giorgio Fonio, aber auch Alessandro Viri und Walter Lisetto. Alessandro sitzt im Zentralvorstand der SPV und vertritt uns in Nottwil. Walter kennt im Tessin unheimlich viele Leute. Wenn er sich an einen politischen Exponenten wendet, wird er nicht abgewiesen. Beziehungen sind von enormer Bedeutung. Wir wollen den Mitgliedern nicht nur eine breite Palette an sportlichen oder kulturellen Möglichkeiten bieten, sondern ihnen auch in anderen Bereichen unter die Arme greifen: hindernisfreies Bauen, Versicherungsberatungen, rechtliche Dienstleistungen, Unterstützung bei der IV – die Liste könnte man um viele Punkte erweitern. Es geht am Ende darum, einen möglichst grossen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft zu leisten.

Was möchtet ihr berichten können, wenn wir uns in einem Jahr in derselben Runde wieder treffen?
NC: Dass die Fusion die richtige Entscheidung war. Wir sind natürlich überzeugt davon, nun möchten wir noch die Bestätigung.

Gruppo Paraplegici Ticino

Der neue Club will Barrieren abbauen und die soziale Eingliederung, die Chancengleichheit und die volle Entfaltung des Potenzials jedes Einzelnen fördern. 

 GPT bietet ein breites Spektrum an wöchentlichen Sportaktivitäten, darunter Basketball, Handbike, Schwimmen, Powerchair Hockey, Tennis, Yoga. Darüber hinaus machen die Wettkampfmannschaften der GPT den Namen des Vereins auf nationaler und internationaler Ebene bekannt. Dazu gehören die Teams «InSuperAbili» (Handbike), «Ticino Bulls» (Basketball) und «Cyber Falcons» (Powerchair Hockey). 

 Neben dem Sport bietet GPT eine Rechtsberatung, die den Mitgliedern bei Versicherungs-, Behörden- und Sozialfragen hilft. Zudem organisiert der Club Kultur-, Kunst- und Freizeitaktivitäten, die den Mitgliedern Gelegenheit geben, etwas Neues zu erleben und die Freundschaft zu pflegen.