Drei Tage lang 100 Dezibel

Jeweils Mitte Juni verwandelt das Greenfield-Festival Interlaken in ein Mekka für Rockmusikfans. Auf zwei Bühnen spielen über 30 Bands und in den Partyzelten wird die Nacht zum Tag. Heuer feiert eine Gruppe der SPV mit.

Einmal ans Greenfield, das ist ein Lebensziel von mir.
Sandro
Teilnehmer
Rollstuhlpodest grandioser Blick auf die Bühne

«Scream for me Greenfield», fordert der Sänger der Metalband Machine Head das Publikum auf. Ein Chor aus mehreren Tausend Kehlen brüllt zurück. Die Band ist eine von 38, die an diesem Juniwochenende den Flugplatz in Interlaken zum Toben bringen. Pro Tag sind hier über 25 000 Fans auf dem Gelände, 13 davon mit der SPV.

Wir übernachten in der Jugendherberge in Interlaken statt wie viele Festivalbesucher auf dem Camping. Tausende Zelte stehen hier dicht an dicht. Und bevor wir zum Konzertgelände gelangen, rollen wir durch diese temporäre Zeltstadt. Ein eigener Shuttlebus fährt uns von der Jugendherberge zum Gelände und wieder zurück. Spätnachts bzw. genau genommen frühmorgens nach der letzten Band sind alle heilfroh, rasch zurück im warmen Zimmer zu sein. Und auch wer sich zwischendurch mal hinlegen will, ist dankbar für den flexiblen Fahrdienst von Sepp. So können alle ihren Festivalbesuch ganz nach ihren Bedürfnissen gestalten. 

Asphaltierte Wege

Während viele Festivals auf Feld und Wiese stattfinden, sind die meisten Wege auf dem Greenfield asphaltiert. Praktisch, wenn man mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Wir sind bei Weitem nicht die einzigen. Die Rollstuhltribüne vor der Hauptbühne ist gut belegt und bietet beste Sicht auf das Konzertgeschehen über tausende Köpfe hinweg. Bei Einbruch der Dunkelheit erleuchten aufwendige Lichtshows und Pyrotechnik glückliche Gesichter. Die Stimmung ist ausgelassen, der Alltag weit weg. Was haben wir heute eigentlich für einen Wochentag?

Punk und Metal
Musikalisch dominiert harte Gitarrenmusik. Manches gefällt, manches irritiert. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Während Kraftclub wird auch auf dem Rollstuhlpodest eifrig getanzt. Wer kann, klatscht bei Dropkick Murphys, die Irish Folk und Punk mischen, im Takt oder klopft im Rhythmus auf die Armlehne des Rollstuhls. Bei The Prodigy vibrieren die intensiven Bässe im ganzen Körper. Ein Schild warnt vor epileptischen Anfällen, welche die Lichtshow auslösen könne. Green Day spielen über zwei Stunden lang ihre vielen Hits. 30 000 singen mit. 

Gerade bei den grossen Bands wird es auch auf dem Rollipodest eng. Hinauf aufs Podest führt eine Rampe, die allerdings eine amtliche Steigung aufweist. Ordner, die ein Auge darauf haben, dass nur Berechtigte Zutritt erhalten, helfen beim Schieben. Ab und zu fühlen sich auch Festivalbesucher dazu berufen.

Die meisten tragen schwarz. Totenköpfe, spitze Nieten, Tattoos und Piercings. «Wir könnten stundenlang nur die Leute angucken», sind sich Gruppenleiterin Andrea und Teilnehmerin Sarah einig. Was grimmig wirkt, erweist sich als umgänglich. Schnell ergeben sich Gespräche. «Alle sind ganz easy drauf», meint Sandro. Und auch Tito ist begeistert, wie die Leute zur Seite gehen, wenn er seine Partnerin Hirijet durch die Menge schiebt. Das selbst zu später Stunde, als bei einigen der Alkoholpegel deutlich die kritische Grenze überschritten hat. Hilfreich ist Sandros Swiss-Trac. Das grelle Frontlicht des Zuggeräts teilt nach Konzertende die Masse wie Moses das Rote Meer.

Wer von all den Gitarrenriffs eine Pause braucht, verpflegt sich an den vielen Essensständen oder bummelt durch den Markt. Verschiedene Partyzelte laden ein, zu feiern, bis die Sonne wieder aufgeht. Selbst für die Fussballfans ist gesorgt, die im Public Viewing die Spiele der Europameisterschaft verfolgen. Diese Nebenschauplätze sind allerdings nur bedingt rollstuhlgängig. Ab und zu braucht es eine helfende Hand, um über den hohen Tresen zu greifen oder einen Absatz zu bewältigen.

Backstage bei Starkoch René Schudel 

Backstage
Am Freitag dürfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Festivals werfen. Starkoch René Schudel begrüsst uns in seiner Küche. Während wir uns mit Pommes und Schnitzelbrot verpflegen, gibt es Sterneküche für die Bands und VIPs. Hinter der Bühne parken mehrere Lastwagen. Jede Band bringt ihre eigene Produktion mit. Die Logistik hinter einem solchen Grossanlass bringt uns zum Staunen. Nach Anekdoten aus den Künstlergarderoben fragen wir vergeblich. Offenbar ist das Rockstarleben nicht so ausschweifend, wie wir uns das vorstellen. Als wir von der Backstage-Führung wieder zurück auf dem Konzertgelände sind, fängt es an zu nieseln. Es ist das einzige Mal, an dem wir unsere Regenjacken brauchen.

«Grandios», «mega», «Hammer», «unvergesslich». Als ich die Teilnehmenden nach ihren Eindrücken frage, wiederholen sich die Adjektive. Alle sind sich einig: Das war ein phänomenales Wochenende. Und auch eine andere Aussage wiederholt sich: «Die Reise mit der SPV gab uns die Gelegenheit auszuprobieren, wie rollstuhlgängig das Greenfield ist. Ein nächstes Mal trauen wir uns das auch allein zu.» Für Lea steht fest: «Es war das erste, aber nicht das letzte Mal.»