Beide stammen aus Wädenswil, beide sind seit Skiunfällen, die sich im Februar 2023 innert zehn Tagen ereigneten, Tetraplegiker – und bei beiden stellte sich rasch auch die Frage: Wie sieht die künftige Wohnsituation aus? Die Ausgangslage war ähnlich, aber es ergaben sich zwei komplett verschiedene Lösungen.
Roland Fässler konnte in sein mehrstöckiges Haus zurückkehren, nachdem es aufwendig umgebaut worden war. Philipp Kutter hingegen lebt heute mit seiner Familie in einer Mietwohnung in derselben Gemeinde. Nach Abschluss seiner Rehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum kehrte er nicht mehr in seine vertrauten vier Wände zurück.
Der Ursprungsplan: im Haus bleiben
Ursprünglich war es allerdings nicht die Absicht, sich wohnlich neu zu orientieren. Im Gegenteil. Die Kutters lieben ihren Teil des Doppeleinfamilienhauses, fühlen sich wohl im Familienquartier und können sich nach dem Unfall nicht vorstellen, wegzuziehen.
Felix Schärer, Bereichsleiter des Zentrums für hindernisfreies Bauen der SPV, übernimmt die Projektleitung. Am 3. Mai 2023 findet die Wohnungsabklärung statt, im Beisein von Philipp Kutter, der auf den Tag genau drei Monate nach dem Unfall erstmals nach Wädenswil und in sein Haus zurückkehrt.
Felix Schärer macht sich ein detailliertes Bild und zeigt die Schwierigkeiten auf, die es bei baulichen Massnahmen zu meistern gäbe. Da sind insgesamt vier Etagen mit kleiner Grundfläche, da sind enge Platzverhältnisse, und da sind am Ende einige Fragezeichen. Aber der Plan, den Umbau durchzuziehen, wird an diesem emotionalen Tag noch nicht verworfen. Philipp Kutters Frau Anja sagt: «Für uns war klar, dass wir in unserem Haus bleiben.»
«Wie wird das neue Leben sein?»
Eines Tages erhält sie aber den Anruf einer Bekannten, die in einer 4.5-Zimmer-Wohnung in der Nähe lebt und in ein kleines Appartement ziehen möchte. Sie habe gedacht, dass dieses grosszügige Objekt allenfalls etwas für die Familie Kutter sei: rollstuhlgängiger Wohnraum, alles auf einer Fläche. Anja Kutter bedankt sich, lehnt gedanklich aber ab – und doch lässt ihr das Telefonat keine Ruhe. «Wir können uns die Wohnung ja trotzdem mal anschauen», sagt sie zu ihrem Mann. Das macht sie in Begleitung einer Freundin, beiden gefällt die Wohnung sehr. Die Türen sind breit genug für einen Elektrorollstuhl, ihr Mann käme sogar selbstständig in die Kinderzimmer. Bei aller Liebe und Verbundenheit zu ihrem Haus: Die Vernunft sagt, dass das für den Start in das neue Leben die bessere Lösung ist. Sie zögern. Wägen ab. Und entschliessen sich dann – schweren Herzens – dazu, umzuziehen.
Die Emotionen beim Auszug
Anja Kutter sitzt am Küchentisch und erzählt, was das mit ihr und den Kindern, aber natürlich auch mit ihrem Mann gemacht hat. «Der Umzug war ein rein rationaler Entscheid», betont sie, «der grosse und sehr teure Umbau mit Vertikallift wäre zwar möglich gewesen. Für Philipp wäre die Situation aber auch danach nicht befriedigend gewesen. Der Bewegungsspielraum wäre klein geblieben.» Zudem, fügt sie an, hätte sie selbst die Energie nicht aufgebracht, um alles gleichzeitig zu bewältigen, also: ihrem Mann Kraft zu geben, die Kinder in der Trauer zu begleiten und ihre eigene zu bewältigen, ihr Geschäft zu führen, den Wahlkampf ihres Mannes zu leiten und daneben auch noch den grossen Umbau zu stemmen.
Am Tag, an dem sie ihr Zuhause verlassen, zieht es Anja Kutter nochmals «richtig den Boden unter den Füssen» weg. So beschreibt sie ihre Gefühlswelt. Wenigstens bleibt Anja und Philipp Kutter erspart, dass die Mädchen die Schule wechseln müssen.
Umfeldsteuerung über das Handy
Mitte August 2023 zieht Anja Kutter mit den zwei Kindern in die neue Wohnung. Ende Oktober ist das Quartett wieder komplett, als Philipp die Reha in Nottwil beendet hat. Er findet ein Zuhause mit verschiedenen Anpassungen vor. Das Badezimmer ist adaptiert, die Haustür ist ebenso automatisiert wie der Eingang zur Wohnung. Und die Umfeldsteuerung ist über das Handy möglich, von der Terrassentür über die Lichtschalter bis zum Fernseher. Und im Keller mietet Anja einen Bastelraum und macht daraus einen Therapieraum, in dem Philipp Kutter je zweimal wöchentlich eine Physio- und Ergotherapie absolviert. Gastrecht geniesst dort jeweils einmal pro Woche auch Roland Fässler.
Philipp Kutter erweckt einen kämpferischen Eindruck: «Wir machen das Beste aus der Situation.» Er hat sich daran gewöhnt, dass vieles mehr Zeit und eine sorgfältige Planung beansprucht. Spontane Aktionen im Alltag sind nicht mehr oder nur unter grosser Anstrengung möglich.
Die politischen Mandate empfindet er nicht als Belastung, sondern bereichernd: «Sie geben mir Energie. Es kam sogar schon vor, dass ich erst am Ende einer Sitzung wieder merkte: Ich sitze ja im Rollstuhl.»
Bei allen Vorteilen der Wohnung: Ist sie auch eine Dauerlösung? «Vorübergehend ändern wir nichts daran», betont Anja Kutter, «obwohl es mir lieber wäre, näher am Zentrum von Wädenswil zu leben.» Philipp Kutter nickt. Und signalisiert gleichzeitig, dass der Start in die Zukunft gelungen ist: «Ich fühle mich wohl.»
(von Peter Birrer, Paracontact 1/2025)