Wann werden Leistungen gekürzt?

Ist die versicherte Person ein hohes Risiko eingegangen, welches zu einem Unfall führte, kann die Unfallversicherung unter Umständen die Leistungen kürzen oder gar verweigern.

An einem heissen Sommertag 2020 springt Fabian S. kopfvorüber in die Aare. Er stösst mit dem Kopf an einen Stein und verletzt sich schwer. Diagnose: inkomplette Tetraplegie.

Nichtberufsunfall
Fabian S. reicht eine Schadensmeldung bei der Unfallversicherung ein. Diese klärt anschliessend den massgeblichen Sachverhalt ab. Dazu gehört auch eine Analyse des genauen Unfallherganges. Gestützt auf diese Abklärung setzt sie die Leistungen für Fabian S. fest.

Hätte Fabian S. an der Stelle überhaupt in die Aare springen dürfen oder hat er sich mit diesem Vorhaben einer besonders grossen Gefahr ausgesetzt?

Bis die versicherungsinternen Abklärungen abgeschlossen sind, richtet die Unfallversicherung nicht das gesamte Taggeld aus, sondern nimmt vorsorglich eine provisorische Kürzung im Umfang von 50% vor.

Kürzung der UVG-Taggelder
Knapp zwei Monate später teilt die Unfallversicherung Fabian S. mit, dass sein Taggeldanspruch gestützt auf Art. 39 UVG definitiv um die Hälfte gekürzt wird. Die Begründung: Fabian S. habe sich mit seinem Kopfsprung in unbekanntes Gewässer einer besonders grossen Gefahr ausgesetzt. Dies, ohne die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen, um das Unfallrisiko auf ein vernünftiges Mass zu beschränken.

Beschwerde wird abgewiesen
Gegen diese Kürzung des Taggelds erhebt das Institut für Rechtsberatung der SPV für Fabian S. Einsprache. Die Unfallversicherung hält an ihrem Entscheid fest. Auch das Verwaltungsgericht weist Fabian S. Beschwerde ab: Ihm hätte bewusst sein müssen, dass ein Sprung in ein ihm unbekanntes Gewässer eine grosse Gefahr birgt. Folglich hätte er sich vorgängig über die Wassertiefe vergewissern müssen oder auf den Sprung verzichten. Indem er sein Vorhaben gleichwohl umsetzte – so das Verwaltungsgericht – handelte er waghalsig.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass Fabian S. weiterhin ein gekürztes Taggeld erhält und ihm im Anschluss daran auch die zugesprochene Rente und die Hilflosenentschädigung für immer um 50% gekürzt wird.

Welche Leistungen werden gekürzt?

Bei Nichtberufsunfällen, welche auf ein absolutes oder relatives Wagnis zurückzuführen sind, können die Geldleistungen gekürzt und in besonders schweren Fällen verweigert werden (Art. 50 Abs. 1 UVV). Zu den Geldleistungen gehören Taggelder, Renten, die Integritätsentschädigung oder die Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung. Nicht von einer Kürzung betroffen sind die Heilungskosten oder die Kosten für invaliditätsbedingt notwendige Hilfsmittel.

Was heisst grobfahrlässig?
Erleidet eine versicherte Person einen Unfall, stellt sich bald einmal die Frage, ob sie diesen Unfall grobfahrlässig herbeigeführt oder sich einer besonders grossen Gefahr ausgesetzt hat.

Grobfahrlässig ist, wenn

  • elementare Vorsichtsgebote verletzt werden.
  • Verhalten Unverständnis, Kopfschütteln und Tadel auslöst.

Folgende Handlungen stuft das Bundesgericht als grobfahrlässig ein:

  • das Nichttragen von Sicherheitsgurten
  • unüberlegtes Betreten einer Fahrbahn
  • Skifahren bei nicht angepasster Geschwindigkeit
  • das Arbeiten an einer Maschine, ohne die nötige Schutzvorrichtung zu benützen

Erweist sich das Verhalten einer versicherten Person als grobfahrlässig, werden die Taggelder, welche während den ersten zwei Jahren nach dem Unfall ausgerichtet werden, gekürzt.

Was ist ein Wagnis?
Anders ist die Situation, wenn die versicherte Person ein Wagnis eingeht. Ein Wagnis ist eine Handlung, mit der sich jemand in Gefahr bringt, ohne diejenigen Vorkehrungen zu treffen oder treffen zu können, welche das Risiko auf ein vernünftiges Mass beschränken.

Unterschieden wird dabei zwischen einem relativen und einem absoluten Wagnis.

Relatives Wagnis
Bei einem relativen Wagnis können die Risiken einer Sportart oder einer Tätigkeit grundsätzlich auf ein vernünftiges Mass reduziert werden. Ob dies geschah, wird bei einem konkreten Unfall geprüft.

Folgenden Aktivitäten können ein relatives Wagnis beinhalten, sofern sportübliche Regeln, Witterungsverhältnisse oder Vorsichtsgebote missachtet werden:

  • Bergsteigen und Klettern
  • Schneesport
  • Canyoning
  • Gleitschirm- oder Hängegleiter-Fliegen
  • Gefährliches Klettern an einer Hausfassade

Absolutes Wagnis
Ein absolutes Wagnis liegt vor, wenn mit einer Aktivität ein derart hohes Risiko verbunden ist, welches sich unabhängig der konkreten Verhältnisse nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lässt.

Folgende Aktivitäten beinhalten ein absolutes Wagnis:

  • Base-Jumping
  • Motocross-Rennen inkl. Training
  • Ski-Geschwindigkeits-Rekordfahrten
  • Speedflying
  • Tauchen in einer Tiefe von mehr als 40 Metern